1. Der Aufstieg
Als französisches Lehnsherzogtum spielte Burgund europaweit eine untergeordnete
Rolle, im Königreich selbst war es ein bedeutendes Herzogtum, das aber meist
entweder direkt dem König unterstand oder nur eine Weile als Apanage an
einen Nebenzweig der Herrscherfamilie fiel, meist nicht lange genug, daß
es eine eigene Identität oder gar eine gegen den König gerichtete Rolle
spielen konnte. Kaum blieb im Nebenhaus die männliche Nachkommenschaft aus -
ein erstaunlich häufiges Phänomen, wahrscheinlich wegen der nicht geringen
Kindersterblichkeit der Zeit - fiel es wieder für eine Weile an die
Krone bis der nächste Zweitsohn an der Reihe war.
1337 brach der Hundertjährige Krieg zwischen Frankreich und England aus.
Lange Differenzen zwischen den beiden Staaten traten nun endgültig in
den Vordergrund und führten über hundert Jahre lang immer
wieder zu großem Blutvergießen in Frankreich
und indirekt auch in England.
Zu enge verwandtschaftliche Beziehungen waren der Grund, wie immer und auch heute
noch. Die Tatsache, daß es der Herzog der Normandie - Wilhelm der Eroberer - war,
der im elften Jahrhundert England eroberte, führte zu den ersten Verquickungen,
schließlich gab er seinen Besitz in Frankreich nicht auf. Heiraten und Erbschaften
führten dazu, daß die Könige von England zeitweise weit mehr Grundbesitz
in Frankreich besaßen, als die französischen Könige selbst. Das konnte auf die
Dauer nicht gutgehen, und immer wenn einer der beiden Könige, insbesondere
der französische, mächtig genung war, gab es Auseinandersetzungen. Die
französischen Könige wollten ihre Hausmacht verstärken, indem sie englischen
Besitz eroberten, die englischen natürlich ihren angestammten Besitz erhalten
und nicht selten waren sie auch direkt auf die Krone Frankreichs aus.
Die zunehmende Zentralisierung Frankreichs und die damit einhergehende Stärkung
der Könige führte bis zum Ende des 13. Jahrhunderts dazu, daß der Besitz
der englischen Krone in Frankreich weitgehend auf die Guyenne oder auch
Aquitanien reduziert wurde, im Großen und Ganzen also das weitere Gebiet
um Bordeaux - allein exzellenter Wein befriedigte England aber auf die
Dauer nicht.
Als 1328 mit Karl IV. der letzte Kapetinger auf dem Thron Frankreichs starb,
bot sich für Eduard III. von England die Gelegenheit nach der Krone
Frankreichs zu greifen. Sein Anspruch auf die Krone war ein wenig besser
als der des anderen Hauptprätendenten Philipp von Valois, allerdings
nicht in rein männlicher Linie. Daß Frauen nicht erbberechtigt waren, war
keine Frage, aber die Erbfolge über Frauen war keineswegs geklärt.
Es wurden zwar zahlreiche alte Gesetze hervorgekramt, ausschlaggebend
aber war wahrscheinlich, daß die großen Herren Frankreichs nicht gerne
einen König hatten, der außer einem großen Herzogtum in Frankreich
selbst auch noch ein ganzes bedeutendes Land als Hausmacht hatte.
Sie fürchteten noch mehr an Autorität zu verlieren, als sie schon
in den letzten zwei Jahrhunderten mit dem Erstarken des Königtums
verloren hatten. So wählten sie Philipp von Valois, der als Philipp VI.
den Thron bestieg.
Dieser konnte sich zunächst in Konflikten in Flandern - das schon lange
sehr distanziert zur Krone stand und enge Beziehungen zu England
unterhielt, die vor allem wirtschaftlicher Natur waren (England
als Wollproduzent für die Tuchproduktion, die Flandern reich machte) -
und auch um die Guyenne, wobei er Eduard III. zu einem Treueid
zwang, behaupten. Eduard III., selbst erst wenige Monate vor Philipp
gekrönt, nachdem sein Vater zur Abdankung gezwungen worden war,
hatte zuviel damit zu tun, seine eigene Herrschaft zu sichern,
als daß er sich in Frankreich allzusehr engagieren konnte.
Aber er konnte in Flandern, vor allem in den mächtigen und von der
englischen Wolle abhängigen Städten, Verbündete gewinnen, wenn auch
die Feudalherren der Grafschaft weiterhin zu Philipp standen.
1336 erließ Eduard eine Exportsperre für englische Wolle mit der
Absicht, die Städte Flanderns durch Druck offiziell auf seine Seite
zu ziehen. Sein letztliches Ziel war ein Brückenkopf auf dem
Kontinent, anders als das im Südwesten gelegene Guyenne nahe bei
England, was die Nachschubmöglichkeiten weit verbesserte.
Philipp nahm diesen Affront nicht hin, sondern beschloß abermals
die Einziehung des Herzogtums Guyenne von seinem untreuen Gefolgsmann.
Anders als 1328 hatte Eduard mittlerweile seine Herrschaft in England
gefestigt und auch die Verteidigung des Herzogtums entschieden
verbessert. So folgte diesmal auf Philipps Ankündigung nicht der
Treueschwur, sondern eine Kriegserklärung Eduards, nicht an Philipp VI.
König von Frankreich - diesem hatte er schließlich die Treue geschworen -
sondern, in Wiederaufnahme des Erbschaftsstreites an "Philipp von Valois,
der sich König von Frankreich nennt".
In Flandern wurde der Graf, Ludwig von Nevers, vertrieben, eine eindeutige
Zuwendung zu Eduard aber zuerst vermieden, bis dieser mit einem
Heer in Flandern landete und daraufhin von den neuen Herren als
König Frankreichs anerkannt wurde.
Philipp versuchte einen Angriff zur See, in der klugen Absicht, Eduard
die Nachschubmöglichkeiten zu nehmen und damit den Krieg rasch zu
beenden. Allerdings verlor die französische Flotte 1340 die Schlacht,
und zwar trotz zahlenmäßiger Überlegenheit so verheerend, daß die
Übermacht Englands zur See auf lange Zeit festgeschrieben war.
Damit waren also die Voraussetzungen für einen langen Krieg mit
vielen Schlachten, vielem Hin und Her, vielen langen Waffenruhen
gegeben. Militärisch konnte keiner den anderen allein überwinden,
hauptsächlich glückliche oder unglückliche Bündnispolitik entschied
darüber, welcher der Könige gerade in die Defensive gedrängt wurde,
für die französischen Könige teilweise bis sehr nahe an den Abgrund.
So entstand ein günstiges Klima für die großen Feudalherren, die
mit geschicktem Taktieren und Seitenwechseln ihre Macht vergrößern
konnten. Niemand beherrschte dieses Spiel aber besser als die
Herzöge von Burgund.
Die erste Zeit des Hundertjährigen Krieges brachte
einige Gefechte und Belagerungen, meist siegten die
Engländer und ihre Brandschatzungen schadeten erheblich
dem Wohlstand Frankreichs. Die Niederlagen der französischen
Könige (auf Philipp VI. folgte 1350 Johann II.)
brachten zwar keine bedeutenden Entscheidungen, aber
die Position der Franzosen wurde immer schlechter. 1356
wurde Johann sogar gefangengenommen, besiegt an der
Spitze eines eigentlich weit überlegenen Heeres.
Allerdings hielt der französische Adel zum größten
Teil treu zu Johanns ältestem Sohn Karl und so
bedeutete auch dieser Sieg keinen endgültigen Gewinn
für die Engländer. 1360 kam es dann zu einem
Frieden, in dem Eduard III. auf die französische
Krone verzichtete und Johann gegen ein riesiges Lösegeld
freikam. 1364, kurz bevor er starb, belehnte er noch
seinen jüngsten Sohn Philipp mit dem Herzogtum
Burgund - eine normale Sache, deren weitreichende Bedeutung
für die Geschichte Frankreichs, sogar Europas damals
keiner bemessen konnte.
Nachfolger auf dem Thron wurde Karl als der V., ihm gelang es
seine Position deutlich zu verbessern. Durch eine Heeresreform
und geschickte Bündnispolitik konnte er den 1369 wiederauflammenden
Krieg deutlich wenden. Die Franzosen siegten an fast allen Fronten,
mit der Hilfe Kastiliens sogar zur See und als 1375 ein Waffenstillstand
zustande kam, hielten die Engländer nur noch Calais, Brest und einen
schmalen Küstenstreifen in der Guyenne.
Als 1380 Karl V. starb, war das französische Königtum wieder die
bedeutendste Macht auf dem Kontinent, aber Frankreich selbst
durch die immensen Kosten des Krieges und die Entvölkerung
wirtschaftlich weit am Boden.
Karl VI. folgte seinem Vater schon als 11jähriger auf den Thron,
die zahlreichen mächtigen Onkel - unter ihnen Philipp von Burgund -
stritten sich um die Regentschaft und saugten das Land noch weiter aus. Als
Karl sich 1388 für volljährig erklärte, war die Stellung Frankreichs
schon wieder entscheidend geschwächt.
Und Besserung trat auch nicht ein, denn Karl geriet unter den Einfluß
seines ehrgeizigen Bruders Ludwig, der sich auch nicht als sparsamer
oder genialer Staatsmann erwies. Karl verfiel zunehmend dem Wahnsinn,
so konnten seine zwei übrigebliebenen Onkel, Berry und Burgund,
in Konkurrenz zu dem Bruder Ludwig wieder an Einfluss gewinnen.
Insbesondere Philipp von Burgund und Ludwig, der Herzog von Orleans war,
trieben mit ihren Zwistigkeiten, in denen sie rücksichtlos Frankreich
und den nur noch selten klaren König für ihre persönlichen Zwecke
ausnutzten, das Land an den Rand des Abgrundes.
Ihre Rivalität teilte das Land in zwei Lager, die noch weit
über ihrer beider Tod hinaus existieren sollten. Während Ludwig recht
wahllos Besitz sammelte (anfangs noch mit dem Ziel einer Umkreisungspolitik
Burgunds, wobei er aber des öfteren den kürzeren zog), sich später vor
allem in Italien in Abenteuer hineinziehen ließ, ging Philipp
planvoller und glücklicher vor. Seine Ehe mit der Erbin von
Flandern machte ihn nach Antretung der gewaltigen Herrschaft
zum reichsten und bald auch mächtigsten Herrscher der Christenheit.
Ludwig hatte ihm immer weniger entgegenzusetzen. Mit Flandern,
dem Artois, Nevers und der Freigrafschaft (Franche-Comté)
hatte Burgund einige der reichsten und am weitesten entwickelten
Provinzen Europas in seinem Besitz.
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